Somatisches Yoga ist mehr als ein neuer Trend – es ist eine Praxis, die dich zu dem zurückführt, was Yoga im Kern bedeutet: Verbindung. Verbindung zu deinem Körper, zu deinem Atem, zu dir selbst. Wenn du vieles spürst, Reize schnell aufnimmst und intensiv verarbeitest, kennst du es wahrscheinlich, dich ständig gestresst und angespannt zu fühlen und nie wirklich zur Ruhe zu kommen. Somatisches Yoga unterstützt dich dabei, dein Nervensystem zu regulieren, Verspannungen zu lösen und mehr innere Ruhe zu finden. In diesem Artikel erfährst du, was somatisches Yoga besonders macht, wie es funktioniert und wie du es für dich nutzen kannst.
Wann es genau war, weiß gar nicht mehr genau – vor ein paar Jahren stieß ich auf somatische Übungen. Ich nahm an einem 30-Tage-Programm teil, bei dem täglich ein somatischer Impuls zum Mitmachen vorgestellt wurde, tauchte dabei tiefer in die Arbeit mit dem Nervensystem ein und entdeckte, dass mein feines Nervensystem nicht nur der Schlüssel zur Regulation ist, sondern auch zu einem liebevollen Umgang mit meiner Sensibilität. Fortan integrierte ich die für mich effektivsten somatischen Übungen in meine Yoga-Praxis.
Damit wurde für mich klar: Somatisches Yoga ist die perfekte Kombination, weil es die klassische Yogapraxis mit feinem Spüren verbindet. Was das genau bedeutet, möchte ich dir hier heute erläutern.
Was ist Somatisches Yoga?
Wörtlich genommen leitet sich der Begriff des somatischen Yoga von dem griechischen Wort „soma“ ab, welches „Körper“ bedeutet. Yoga wiederum stammt aus dem Sanskrit und heißt übersetzt „Einheit“, „Verbindung“ oder „Harmonie“.
Somatisches Yoga meint eine Praxis, bei der das Erleben von innen heraus im Mittelpunkt steht: beispielsweise wie Bewegungen sich anfühlen, welche Empfindungen entstehen oder gerade da sind, wie und wo der Atem spürbar ist. Ob die Posen von außen betrachtet perfekt aussehen, ist hierbei egal. Anders als in Yogastilen, bei denen äußere Form oder Alignment eine Rolle spielen, zielt somatisches Yoga darauf ab, durch innere Bewusstheit muskuläre Spannungen zu lösen, eventuelle psychosomatische Folgebeschwerden zu lindern, das Nervensystem zu beruhigen und die Körperwahrnehmung zu stärken.
Ursprung und Grundlagen des somatischen Yoga
Die Wurzeln des Somatischen Yoga liegen in der sogenannten Somatik, einer Bewegungs- und Körperlehre, die vor allem durch den Philosophen und Bewegungstheoretiker und -praktiker Thomas Hanna geprägt wurde (der sich wiederum von der Feldenkrais-Methode inspirieren ließ). Hanna vertrat die Theorie, dass wir im Laufe unseres Lebens bestimmte Spannungs- und Bewegungsmuster so stark verinnerlichen, dass wir sie kaum noch bewusst wahrnehmen. Diesen Zustand nannte er „Sensory Motor Amnesia“ – sensorisch-motorische Amnesie: Der Körper „vergisst“, wie sich natürliche Bewegungsfreiheit und Leichtigkeit anfühlen. Nach Hanna entstehen viele schmerzhafte Muskelverspannungen oder Bewegungseinschränkungen nicht durch körperliche Schäden, sondern durch die fehlerhafte Funktionsweise unseres senso-motorischen Apparates. Im Laufe der Zeit speichert unser Körper ungünstige Verhaltens- und Haltungsgewohnheiten ab, die gesunde Bewegungsmuster überlagern.*
Somatisches Yoga setzt hier an: Die Praxis hilft, diese automatisierten Muster ins Bewusstsein zurückzuholen, um sie sanft zu verändern. Durch achtsame Bewegung, bewusstes Spüren und Loslassen bekommt der Körper die Möglichkeit, alte Spannungen zu lösen und zu einer neuen natürlichen Beweglichkeit zu finden. Es geht darum, ein feineres Körperbewusstsein zu entwickeln und die Verbindung nach innen zu stärken.
Das Nervensystem spielt beim somatischen Yoga eine zentrale Rolle. Denn: Stress, Überlastung oder auch traumatische Erfahrungen können das vegetative Nervensystem in einen dauerhaften Alarmzustand versetzen – damit ist eine chronische Überaktivierung des Sympathikus gemeint, die oft schlicht als chronischer Stress bezeichnet wird. Studien zeigen, dass langsame, bewusste Bewegungen das parasympathische Nervensystem aktivieren, das für Entspannung und Regeneration zuständig ist. Auf diese Weise kann somatisches Yoga Stress reduzieren sowie die körperliche als auch die mentale Gesundheit fördern.**
Das Besondere ist nämlich: Unser Gehirn hat die Fähigkeit zur sogenannten Neuroplastizität, der Anpassung und Neubildung neuronaler Verbindungen in unserem Nervensystem. Das heißt, die bewusste Wahrnehmung alter oder aktueller Bewegungsmuster bildet die Basis, um neue, gesündere Muster zu etablieren. Und das wirkt sich nicht nur positiv auf Körperhaltung und Beweglichkeit aus, sondern auch auf Wohlbefinden sowie unsere innere Balance.
Vorteile von somatischem Yoga
Stressreduktion
Somatisches Yoga hilft, inneren Druck zu lösen und den Körper aus dem Modus ständiger Anspannung zurück in die Ruhe zu bringen. Die bewusste Langsamkeit und fließenden Bewegungen wirken auf dein Nervensystem und aktivieren den parasympathischen Teil. Die Praxis fördert einen tiefen Entspannungszustand und kann auch dabei unterstützen, Angst abzubauen.**
Schmerzlinderung und mehr Beweglichkeit
Indem festsitzende Spannungen gelöst werden, kann sich der Körper wieder freier bewegen. Viele Praktizierende erfahren dadurch eine spürbare Linderung von Schmerzen und gewinnen gleichzeitig neue Geschmeidigkeit in ihren Bewegungen.
Besserer Schlaf
Wenn das Nervensystem reguliert und innere Unruhe nachlässt, kann sich ein tieferer und erholsamer Schlaf einstellen – und dieser ist ein entscheidender Faktor bzw. mitunter die Basis für Regeneration und ganzheitliches Wohlbefinden.
Mehr Energie und Leichtigkeit
Somatisches Yoga wirkt auf allen Ebenen: Durch den Abbau von körperlicher Anspannung sowie das Auflösen von Blockaden auf energetischer Ebene, entsteht Raum: Bewegungen fühlen sich leichter an und die Lebensenergie (Prana) kommt spürbar wieder ins Fließen.
Mehr Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung
Die Praxis schärft die Selbstwahrnehmung, das Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und die Bewusstheit für den Körper.
Für wen ist Somatisches Yoga geeignet?
- Hochsensible Menschen
Feinfühlige Frauen können von somatischem Yoga in besonderem Maße profitieren. Da ihre Reizaufnahme bzw. -verarbeitung intensiver verläuft, reagiert auch ihr Nervensystem sensibler auf Stress sowie äußere Gegebenheiten. Die Praxis bietet ihnen einen geschützten Raum, um ihr Nervensystem sanft zu regulieren und Schritt für Schritt dahinzukommen, ihre Sensibilität als wertvolle Stärke zu erleben.
Was ist Hochsensibilität, fragst du dich? In diesem Blogbeitrag habe ich Hochsensibilität ausführlich erklärt. - Anfängerinnen
Somatisches Yoga braucht keine Vorkenntnisse. Auch Yoga-Anfängerinnen finden hier einen sanften Einstieg. Die Bewegungen können an die individuellen Möglichkeiten angepasst werden. - Menschen mit besonderen Herausforderungen
Wer unter anhaltendem Stress, Erschöpfung, Schlafproblemen oder körperlichen Beschwerden wie Verspannungen leidet, kann durch somatisches Yoga spürbare Entlastung erfahren. Die Praxis hilft, zu regulieren und kann unterstützen, wieder mehr Leichtigkeit, Ruhe und Beweglichkeit in den Alltag zu bringen. - Alle, die mehr Bewusstsein entwickeln möchten
Die somatische Praxis richtet sich auch an Menschen, die achtsamer mit sich selbst umgehen wollen. Sie lädt dazu ein, Empfindungen wahrzunehmen, die eigenen Bedürfnisse besser zu verstehen und mit sich selbst in Kontakt zu kommen. - Leute, die nicht gerne stillsitzen oder stillliegen, nervös sind oder denen Konzentration schwerfällt
Alle angeleiteten Übungen sind Einladungen, für die es stets Variationen gibt. Hier geht es auch um die intuitive Wahrnehmung, was gerade guttut, was möglich und gewollt ist, das heißt, es ist vollkommen okay, mal in der Stille innezuhalten oder aber kleine oder größere Bewegungen in der jeweiligen Asana auszuführen.
Wie funktioniert somatisches Yoga?
Somatisches Yoga ist kein geschützter Begriff, daher kann die jeweilige Praxis unterschiedlich gestaltet sein. Grundsätzlich kann eine somatische Praxis Asanas des Hatha Yoga – etwa den herabschauenden Hund oder den Krieger – ebenso enthalten wie Übungen aus anderen Yogastilen, zum Beispiel die Sufi-Kreise aus dem Kundalini Yoga, Yin-Haltungen oder auch fließende Vinyasa-Sequenzen.
Der Unterschied zu anderen Yogastilen ist: Hier stehen weder exakte Ausführung noch statisch gehaltene Dehnungen im Vordergrund, sondern das bewusste Erleben. Die Haltungen werden stattdessen mit feinsten, intuitiven Mikrobewegungen verbunden (Pandikulation). Diese kleinen Impulse unterstützen den Körper dabei, Spannungen abzubauen, Muskeln leichter zu entspannen und sich wieder beweglicher zu fühlen. Warum keine „klassische Dehnung“? Gerade bei überreizten, sehr gestressten Menschen können statisch gehaltenen Positionen oft neue Spannungen hervorrufen – und das wird im somatischen Yoga vermieden.
Zusammengefasst: Die Übungen werden in sanften, fließenden Sequenzen angeleitet. Dabei sind die Teilnehmenden eingeladen, jede Bewegung achtsam auszuführen und währenddessen wahrzunehmen, was sich im Körper zeigt – das können Anspannungen sein, aber auch Emotionen oder Empfindungen sowie ein schneller oder gleichmäßiger Herzschlag. Ob Bewegungen langsamer, schneller oder gar nicht ausgeführt werden, ist individuell: Entscheidend ist, was sich im Moment stimmig anfühlt. Auch der Atem spielt eine zentrale Rolle: Er hilft, die Konzentration zu vertiefen und fördert die Entspannung – er wirkt wie eine Brücke zwischen Körper und Geist, zwischen kreisenden Gedanken und Achtsamkeit im Moment.
Ein Beispiel: Statt den herabschauenden Hund statisch zu halten, werden kleine, intuitive Bewegungen eingebaut – etwa das sanfte Bewegen der Fersen nach oben und unten, das sanfte Bewegen des Oberkörpers oder ein leichtes Schwingen der Hüfte. So wird die Asana zu einem lebendigen Erleben statt zu einer statischen Form.
Hochsensibilität und somatisches Yoga
Hochsensible Menschen verfügen über ein feines Nervensystem, das Reize intensiver und differenzierter verarbeitet. Sowohl äußere Reize, wie Geräusche, Licht oder Stimmungen anderer, als auch innere Prozesse, wie Gedanken, Gefühle oder Empfindungen, wirken stärker und nachhaltiger. Diese Fähigkeit kann eine wertvolle Ressource sein, führt aber in der Realität des Alltags häufig zu Überreizung oder dem Gefühl, nicht zur Ruhe zu kommen.
An diesem Punkt kann dich somatisches Yoga abholen: Durch die somatische Praxis lernst du deine Feinfühligkeit weniger als Belastung, sondern vielmehr als feinen Kompass zu nutzen.
Wie das geht? Statt dich gegen deine Wahrnehmungen „abzuschotten“, übst du bewusstes Spüren in deinen Körper. „Was fühle ich gerade? Wo sitzen Anspannungen?“ Und vielleicht sogar: „Was möchte von mir gesehen werden? Welche Bedürfnisse dürfen gehört werden?“ Dadurch stärkst du deine Selbstwahrnehmung, was dir ermöglicht, frühzeitiger auf die Signale deines Körpers zu hören. Langfristig fördert somatisches Yoga deine Sensibilität anzunehmen und liebevoll mit dir selbst umzugehen. Es geht nicht darum, irgendetwas „weghaben“ zu wollen, sondern um liebevolle Integration.
Falls es dich interessiert, hier habe ich 7 Gründe erläutert, warum Yoga dich als sensible Frau unterstützen kann.
Tipps für den Alltag
- Mini-Pausen einlegen – bewusst geplant
Überlege dir doch einfach mal, wann du zwischendurch am Tag die Möglichkeit hättest, durchzuatmen. Besonders gut eignen sich Übergänge, wie vor dem Arbeitsstart, vor dem Abholen des Kindes, in der Küche während das Essen kocht. Es geht um kleine Momente, um wieder bei dir anzukommen. Atme bewusst ein paar Mal tief in die Nase ein und durch den Mund aus. Lege dabei eine Hand auf den Bauch oder die Brust und spüre, wie sich dein Körper bewegt. - Körper-Check-in als wiederkehrendes Ritual – intuitive Auszeit
Halte kurz inne und richte deine Aufmerksamkeit nach innen. Wo spürst du gerade Anspannung, wo Leichtigkeit? Wie fühlst du dich in diesem Moment? Was brauchst du? Schon wenige Sekunden können dich wieder mehr zu dir bringen. - Abendrituale schaffen
Eine somatische Sequenz vor dem Schlafengehen, z. B. sanftes Kreisen der Schultern, ein langsames Auf- und Abrollen der Wirbelsäule in den Katzenbuckel und zurück oder eine beruhigende Atemübung – das alles kann dir helfen, den Tag loszulassen und erholsamer zu schlummern. - Bewegung integrieren
Auch beim Gehen, Sitzen oder Arbeiten lassen sich kleine Impulse einbauen: die Zähne voneinander lösen und den Kiefer bewusst entspannen, den Kopf sanft zu beiden Seiten drehen oder die Zehen hin und her bewegen. Auch feine Mikrobewegungen können dich dabei unterstützen, dich mit dir zu verbinden.
Vielleicht findest du das spannend oder du spürst, dass dein Körper nach dieser sanften Form der Yogapraxis ruft. In meinem Kurs „Somatisches Yoga für feinfühlige Frauen“ bekommst du den Raum, um regelmäßig zu üben und dich mit deinem Körper zu verbinden. Die Übungen kannst du auch super einzeln in deinen Alltag integrieren.
Hast du noch Fragen zum somatischen Yoga? Oder hast du es schon einmal ausprobiert? Lass mir gerne einen Kommentar hier.
Liste to your soul, alles Liebe
Deine Melanie
Quellen:
*Hanna, Thomas (1988): Somatics. Reawakening the Mind’s Control of Movement, Flexibility, and Health. New York: Da Capo Press.
**Vorteile von somatischem Yoga – wirkt gegen Stress: Shobana et al. 2022: Effect of long-term yoga training on autonomic function Teilnehmende mit regelmäßiger Yoga-Praxis zeigten geringere sympathische Aktivität und stärkere parasympathische Aktivitäten
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9648241/?utm_source=chatgpt.com