Hochsensibel zu sein kann verdammt anstrengend sein – und fühlt sich gleichzeitig echt stark an. Als feinfühlige Mama kenne ich beides gut: die Freude, vieles tief wahrzunehmen, aber auch die Erschöpfung, wenn mir alles zu viel ist. Heute weiß ich, dass mein hochsensibles Nervensystem der Schlüssel ist, um nachhaltig in Balance zu leben.
Erst vor ein paar Jahren habe ich entdeckt, dass mein Wohlbefinden, meine Energie und auch meine Reaktionen im Alltag mit meinem Nervensystem zusammenhängen. In diesem Artikel teile ich fünf persönliche Erkenntnisse, die mir gezeigt haben, warum Hochsensibilität und Nervensystemarbeit untrennbar zusammengehören. Und ich verrate dir, wie dieses Wissen dir helfen kann, dich selbst besser zu verstehen und gelassener durch den Alltag zu gehen.
1. Mit dir ist nichts falsch
Hier falle ich gleich mit der Tür ins Haus: Du bist genau richtig, so wie du bist! Warum das die erste Erkenntnis in der Liste ist? Viele oder die meisten Hochsensiblen hadern mit sich selbst. Früher habe ich mich auch oft gefragt: „Warum halte ich so vieles nicht aus, was für andere scheinbar kein Problem ist?“ Starke Gerüche, laute Geräusche, schnelle Wechsel, Stimmungen anderer, volle Räume – all das hat mich geplättet. Lange Zeit fühlte es sich an, als wäre ich einfach nicht belastbar genug.
Leider wusste ich als jüngere Frau noch nicht, dass ich hochsensibel bin. Immer wieder fand ich mich in Erschöpfungszuständen wieder. Zwei Jobs direkt nach dem Studium machten mich buchstäblich krank – wegen der belastenden Atmosphäre. Damals versuchte ich durchzuhalten, konnte nächtelang nicht schlafen, hatte Magenschmerzen, bis ich dann endlich auf mein Bauchgefühl hörte. Doch tief in mir hatte sich längst eingeprägt: Mit mir stimmt etwas nicht.
Später – als Mama – wurde dies nochmal deutlicher. Plötzlich war ich rund um die Uhr gefordert. Absolute Reizflut: Geräusche, Stimmen, Bedürfnisse, starke Gefühle, Emotionen, Alltagstrubel. Kein Wunder, dass ich schneller an meine Grenzen kam. Aber genau in dieser Zeit habe ich die Hochsensibilität entdeckt und verstanden: Es ist kein „Zuviel-sein“, sondern ein anderes Wahrnehmen. Mein Nervensystem filtert nicht weniger, sondern mehr.
Das war der entscheidende Aha-Moment: Meine Hochsensibilität ist kein Defekt, vielmehr eine Stärke. Mein Nervensystem arbeitet feiner, empfänglicher, sensibler – es registriert mehr Eindrücke und verarbeitet intensiver. Das bedeutet, dass ich schneller Pausen brauche.
Heute weiß ich: Ich bin genau richtig! Mein Körper reagiert erklärbar und nachvollziehbar – genau das ist meine Stärke: Ich darf mein Nervensystem aktiv unterstützen und es wie einen Kompass nutzen.
2. Das Nervensystem ist der Schlüssel zu deiner Balance
Ich habe wie gesagt in den letzten Jahren verstanden: Mein vegetatives Nervensystem ist wie ein sensibler Kompass. Oder etwas sachlicher formuliert: Es funktioniert als Frühwarnsystem.
Als feinfühlige Frau nehme ich mehr wahr, innen wie außen. Und alles kommt intensiver an – Geräusche, Stimmungen, Gerüche, plötzliche Veränderungen. Das ist kein Fehler, sondern meine Biologie.
Das vegetative (oder autonome) Nervensystem ist der Teil unseres Nervensystems, den wir nicht bewusst steuern. Es hält uns am Leben, ohne dass wir darüber nachdenken: Herzschlag, Atmung, Verdauung – alles läuft automatisch. Sogenannte Neurotransmitter, wie Adrenalin, Noradrenalin oder Cortisol, aktivieren das vegetative Nervensystem. Schon vor vielen Jahrzehnten hat der US-amerikanische Entwicklungspsychologe Jerome Kagan gezeigt: Kinder, die er als „highly reactive infants“ – also hochreaktive Babys – bezeichnete, hatten in Stresssituationen höhere Spiegel von Noradrenalin und Cortisol im Blut. Sie reagierten also neurochemisch sensibler.*
AHA!!! Ich bin also nicht „zu empfindlich“! Mein Nervensystem arbeitet einfach feiner. Es scannt mehr, verarbeitet mehr – und braucht deshalb auch mehr Pausen. Diese Erkenntnis hat für mich viel verändert. Plötzlich wusste ich, warum ich mich so schnell überreizt fühle oder warum ich mehr Erholung brauche als andere.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir lernen, Signale unseres Körpers zu erkennen und zu deuten: Bin ich gerade entspannt? Bin ich überreizt? Brauche ich einen Moment für mich? Tools wie bewusstes Atmen oder Körperübungen helfen, das Nervensystem wieder herunterzufahren. Für mich ist es der Schlüssel: Wer sein Nervensystem kennt und unterstützt, kann als hochsensible Frau Ruhe und Balance zurückholen – selbst wenn außen alles laut ist. Mit der Übung geht es immer leichter. Das vegetative Nervensystem ist trainierbar (Neuroplastizität). Es ist übrigens völlig normal, zwischen Anspannung und Entspannung zu pendeln – erst wenn wir zu lange im Stressmodus bleiben, wird es zum Problem.
3. Spüren bringt Ruhe – der Körper ist dein Anker
Früher war ich fast nur im Kopf unterwegs – „Hustle-Modus“ pur. Gerade in stressigen Phasen drehten sich Gedanken, To-dos, Sorgen in der Dauerschleife. Vor allem, wenn ich überreizt war, fiel es mir schwer, abzuschalten. Ich wollte Ruhe, aber mein Kopf hörte nicht darauf und machte einfach weiter. Als ich vor fast zwei Jahrzehnten Yoga für mich entdeckte, lernte ich, wie ich Körper und Geist entspannen kann. Und damit ging es mir viel besser – mir fiel es nicht schwer, meine Yogapraxis umzusetzen. Als ich dann Mama wurde, kam ich ziemlich ins Straucheln und kriegte es für lange Zeit nicht richtig hin, Yoga im Mama-Alltag zu integrieren.
Ein neuer Wendepunkt kam, als ich begriff: Wenn ich meinen Körper bewusst mit einbeziehe, kann sich auch mein Nervensystem beruhigen.
Als feinfühlige Frau nehme ich Reize intensiver wahr. Das bedeutet aber auch: Ich verliere manchmal den Bezug zu mir, das Gefühl für meinen eigenen Körper, weil alles um mich herum lauter ist. Doch genau hier liegt ein großer Hebel: Über den Körper kann ich mich wieder erden. Ganz einfache Dinge helfen: die Füße fest auf den Boden stellen, bewusst atmen, die Schultern bewegen, die Hände reiben, im Raum orientieren. Diese kleinen Gesten senden Signale an das Nervensystem: „Alles ist in Ordnung, ich bin hier, ich bin sicher.“ Und dann spüre ich, wie der innere Druck nachlässt.
Für mich ist das Spüren wie ein Anker geworden, den ich auswerfen kann: Wenn es zu viel wird, gehe ich aus dem Kopf zurück in den Körper. Nicht immer perfekt, nicht immer sofort – aber jedes Mal bin ich anschließend wieder ein Stück mehr bei mir selbst.
4. Kleine Momente, große Wirkung – meine Soulmoments
Lange habe ich geglaubt, dass ich nur dann wirklich entspannen kann, wenn alles um mich herum „perfekt“ ist und ich mindestens 90 Minuten frei habe – Kerzen an, Handy aus, Yogamatte ausgerollt. Aber der Alltag, vor allem mit Kind, sieht anders aus: Er ist nicht perfekt im Sinne von perfekt, sondern laut, bunt, fordernd – und oft bleibt keine Zeit für lange Pausen.
Als ich Mama wurde, habe ich gelernt: Ruhe muss nicht groß oder perfekt sein, sie darf im Kleinen entstehen – in dem, was ich inzwischen meine Soulmoments nenne. Diese Mini-Momente schenken mir Ruhe, Energie oder genau das, was ich gerade brauche. Drei bewusste, tiefe Atemzüge, die Füße bewusst auf dem Boden spüren, kurz die Wolken am Himmel beobachten oder die Wärme der Sonnenstrahlen auf der Haut spüren – und für einen Augenblick bei mir selbst ankommen.
Meine Sensibilität hilft mir dabei, die Notwendigkeit für diese feinen Momente zu erkennen. Ich spüre schneller, wann es zu viel wird und wann ich mir einen Soulmoment gönnen darf. Auch mitten im Chaos kann ich so einen kleinen Ruhepunkt setzen, der mich wieder zu mir zurückbringt.
Diese Soulmoments sind manchmal länger, oft fast unscheinbar, aber sie wirken. Sie erinnern mich daran, dass meine innere Balance nicht abhängig von äußeren Bedingungen ist. Denn ich kann sie mir selbst schaffen, egal wie laut das Leben gerade ist.
5. Vertrauen statt Daueralarm
Früher wollte ich alles im Griff haben. Kontrolle als Schutzmechanismus, das kennst du vielleicht auch von dir. Das gab mir ein vermeintliches Gefühl von Sicherheit. Sicherheit war mein Wunsch, mein Bedürfnis. Im Übrigen ist Sicherheit ja das, wonach unser Nervensystem strebt. Das ist ganz normal. Doch der Anspruch, immer „alles“ gleichzeitig zu sein hat mich noch mehr unter Druck gesetzt. Es ist einfach nicht möglich, alles immer zu kontrollieren.
Besonders durch meine Auseinandersetzung mit Hochsensibilität und Nervensystemarbeit habe ich verstanden: Mein Körper sendet Signale, und zwar schon lange bevor mein Kopf sie erfassen kann. Herzrasen, Spannung im Nacken und den Schultern, Gereiztheit – zugegeben, Anzeichen von Stress nerven mich immer noch, aber inzwischen sehe ich diese Signale nicht mehr als „Schwäche“, sondern als Hinweis. Ein Wink mit dem Zaunpfahl oder, bemerke ich es später erst, mit dem ganzen Gartenzaun, das sagt: Schau hin, mach langsamer.
Beruhigend ist, zu wissen, dass sich mein Körper melden wird. Dieses Vertrauen in meine eigenen Signale ist befreiend. Ich muss nicht perfekt sein, um stabil zu bleiben. Ich darf mich auf mein Gespür verlassen und mir kleine Pausen erlauben, bevor es zu viel wird. Wenn ich meinem Nervensystem vertraue, bin ich nicht mehr nur im Kopf unterwegs – ich bin wieder mit mir verbunden. Und genau diese Verbindung trägt mich auch durch volle, laute Tage.
Vielleicht erkennst du dich in einigen meiner Punkte wieder; und vielleicht spürst du jetzt, dass es kein „Zuviel-sein“ ist, sondern ein „Fein-Sein“. Du nimmst mehr wahr und verarbeitest intensiver. Das ist keine Schwäche, es ist eine besondere Stärke, wenn du lernst, damit umzugehen.
Listen to your soul, deine Melanie
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